Ich reg mich auf! Warum du Wut brauchst, um du selbst zu sein

(diesen Artikel habe ich Rahmen der Blogparade – #Wut ausdrücken und annehmen‘ von Lia Rienzi leicht überarbeitet)

Kannst du so richtig wütend sein oder bist du Dauer-nett? Lässt du dir manchmal Sachen gefallen, obwohl sie dir eigentlich gegen den Strich gehen?

„Reg dich nicht auf!“, ist dein Gedanke, sobald du Wut spürst? Oder du hörst von anderen Stell dich nicht so an! Komm mal wieder runter!“?

Oder …

… noch nicht mal das?
Denn du bist NIE wütend? Du weißt gar nicht, warum du dich über irgendwas ärgern solltest? Wie sich Zorn für dich anfühlt?

Damit bist du nicht allein. Ich habe selbst länger gebraucht, um meine Wut überhaupt wieder zu spüren. Und dann wusste ich immer noch nicht, was ich damit anfangen sollte. Wir haben beide das gleiche gelernt: Unsere Wut zu unterdrücken.

Ohne Wut bist du nicht „ganz da“

Nicht nur, weil du dein gesamten Gefühlsspektrum benötigst, um deine vollständige Persönlichkeit entfalten zu können. Dazu gehören eben auch vermeintlich unangenehme „Schattenseiten“ von dir. Seiten, bei denen du jetzt noch denkst, dass du sie vor dir und anderen verstecken musst.

Weil du glaubst, dass du „so“ nicht sein darfst.

Du brauchst Wut, um du selbst sein zu können. Deine Wut macht dich darauf aufmerksam, wo das noch nicht so ist. 

Wut tut gut 🙂 Dabei ist Wut nicht primär gut oder schlecht. Wut ist einfach ein Gefühl. Entscheidend ist, was du draus machst. Und um „was draus machen“ zu können, musst du sie „besitzen“. Also sie steuern.

Denn merke: Nicht die Wut hat Macht über dich. Sondern du bist diejenige, die sie kontrolliert. Du entscheidest, in welchem Maße du sie wofür einsetzt.

Um das tun zu können, braucht deine Wut Raum. Wenn du sie unterdrückst, wird sie sich irgendeinen anderen Weg suchen. Meist ist das dann ein „gegen“. Sie ist dann gegen dich gerichtet, oder gegen deine Kollegin, deinen Partner usw. Das ist aber nicht der wahre Charakter der Wut.

 

Der wahre Charakter der Wut: Sie steht für Klarheit und Tatkraft

Wut ist ein deutliches „NEIN!“. Deine Wut sagt dir, dass für dich etwas falsch ist.

„Das passt mir nicht! Ich will das nicht!“ ist die zentrale Aussage deiner Wut. Sie weist dich darauf hin, dass gerade etwas passiert, was deutlich gegen deine Bedürfnisse und Werte läuft. Je stärker deine Wut, desto wichtiger sind deine Bedürfnisse gerade.

Und damit ist Wut ein klares „JA!“. Nämlich zu deinen Bedürfnissen. Deine Wut meldet dir, dass DU gerade dran bist. Die Kraft, die Wut freisetzt, kannst du nutzen, um für dich einzustehen. Für das, was dir wirklich wichtig ist. Sie unterstützt dich, die notwendige Kraft für Veränderungen zu finden. Sie deckt eklatante Missstände auf. Sie zwingt dich, hinzusehen und zu handeln. Wut lässt dich gestalten, über deine Komfortzone hinaus gehen.

Was mit dir los ist, wenn du nie wütend bist … oder dauernd

Wenn du dir keine Wut erlaubst, fehlt dir ein zentraler Antrieb. Eine Kraft, die dich aufstehen, handeln und verändern lässt.

Zu wenig Wut bedeutet:

  • Du bist passiv und handlungsunfähig
  • Entscheidungen fallen dir schwer
  • Du bist dir selbst nicht klar über deine Ziele und Bedürfnisse: „ich weiß nicht, was ich will“
  • Du ordnest deine eigenen Wünsche und Bedürfnisse einer trügerischen Harmonie unter
  • Du nimmst dich selbst nicht ernst und verfolgst deine Ziele nicht konsequent: „das ist nicht so wichtig, was ich will …“ – du achtest deine eigenen Grenzen nicht
  • Es fällt dir schwer, dich aus Dingen / Situationen zu befreien, die dir nicht gut tun
  • Veränderungen, die für dich wichtig und richtig wären, kannst du nur schlecht umsetzen. Es fällt dir zudem schwer, dran zu bleiben – gerade auch, wenn du „Gegenwind“ bekommst.
  • Du bist nett – auch dann, wenn dich etwas gewaltig stört
  • Konflikte hältst du nicht aus oder kannst sie höchstens verdeckt austragen
  • Du beziehst selten klar Position, was dein persönliches Profil, deinen Ausdruck „schwammig“ und wenig greifbar für andere macht

Allerdings ist es jetzt nicht so, dass du die ganze Zeit wie ein Berserker durch die Gegend laufen solltest. Denn auch zu viel Wut hilft dir nicht:

Zu viel Wut verursacht:

  • Eine permanente Aggressivität ohne klares Ziel
  • Einen Dauer-Angriffsmodus, der dich viel Energie kostet
  • Du bist cholerisch, du regst dich selbst über Kleinigkeiten wahnsinnig auf
  • Dazu kommt ein überkritisches Verhalten, dass deinen Blick einengt auf „Fehler“ und Dinge, die du nicht ändern kannst (du nutzt nicht deinen Einflussbereich)
  • Du bist frustriert und trotzig, nichts scheint so zu funktionieren, wie du es dir wünschst
  • Denken in Schuld-Kategorien „die anderen machen alles falsch“ oder „ich mache alles falsch“
  • Verharren in der Wut, statt konkrete Lösungen zu suchen
  • „Explodieren“, bei dem du bereitwillig Schäden (für dich und andere) in den Kauf nimmst, statt die positive Veränderungskraft der Wut zu nutzen. Das kann wiederum dafür sorgen, dass andere dich nur noch mit Vorsicht behandeln oder dir gewisse Dinge nicht mehr „zumuten“, weil du dich dann sofort aufregst.
  • Oder „Hineinfressen und Runterschlucken“, bei dem du deine Wut gegen dich richtest. Und häufig beginnt dann ein Kreislauf aus Verstecken („ich bin so doof, das darf niemand mitkriegen“), verringertes Selbstbewusstsein, Traurigkeit und Zynismus.

Du siehst, beides, also zu wenig oder zu viel Wut ist kontraproduktiv. Ob deine Wut dies im konkreten Fall ist, kannst du an diesen Kriterien erkennen:

Erkennungsmerkmale für kontraproduktive Wut

  • Du hast Schwierigkeiten, deinem Gegenüber in die Augen zu sehen (Hinweis, dass du von deiner Wut überwältigt bist und dein Gegenüber als „schuldig“ ansiehst. Eine produktive Auseinandersetzung wird dir in diesem Moment kaum möglich sein)
  • Ständiges, langanhaltendes Kreisen der Gedanken um die Wut (häufig „sollte“- / „müsste“-Gedanken, Urteile bspw. „du bist falsch“)
  • Du siehst dich als Opfer, dem Böses geschieht (dieses Denken bringt dich entweder in eine passive Haltung oder in den Angriffsmodus)
  • Du beschäftigst dich damit, wer „Schuld“ hat und wer „bestraft“ werden müsste (das kannst auch du selbst sein). Das Problem bei diesem Denken ist, dass es dich in keiner Weise dahin bringt, dich um deine eigentlich betroffenen Bedürfnisse zu kümmern. Außerdem beschäftigst du dich die ganze Zeit mit dem Anderen statt mit dir.
  • Verallgemeinerungen, d.h. „vom hundertsten in tausendste“ kommen, verschiedene Wut-Situationen werden vermischt („und im letzten Monat hat der doch schon mal so doof geguckt“ – du bist nicht mehr in der konkreten wutauslösenden Situation, das macht ihre Klärung schwierig)
  • Die Strategien „Explodieren“ oder „Hineinfressen“ (s.o.) führen zu Kollateralschäden, die Situation wird nicht wirklich geklärt/verschleppt und sorgt so für neue Konflikte

Stattdessen: Nutze die gestalterische Kraft deiner Wut

Wenn du das liest, kommt dir vll als erstes das hier in den Sinn:

„Aber was sollen denn die anderen denken, wenn ich meine Wut rauslasse?“

Wie gesagt, es geht definitiv NICHT darum, dass deine Wut unkontrolliert rausbricht und sich – einer Naturgewalt ähnlich – entlädt. Wir reden ab jetzt immer von produktiver Wut.

Und ja, wenn du dir deine Wut erlaubst, wird das auch für andere spürbar sein:

Denn Wut gibt dir Ecken und Kanten. Sie macht dich sichtbarer für andere. Wenn du deutlich deine Meinung sagst, wirst du für andere „greifbarer“, sie wissen eher, woran sie bei dir sind.

Und da liegt ein Knackpunkt: Nicht jedem wird deine Meinung, dein Verhalten schmecken. Vor allen Dingen nicht, wenn du jahrelang brav Erwartungen erfüllt hast. Du wirst Gegenwind bekommen. Manche werden dir sagen, dass du „zickig“ bist und dich „nicht so anstellen“ sollst.

Das bedeutet, du brauchst an diesem Punkt etwas, was dir Kraft gibt. Was dir hilft, bei dir zu bleiben, auch wenn‘s mal ungemütlich wird. Und auch diese Kraft bekommst du aus der Wut. Sie gibt dir die Klarheit, die Sicherheit, dass das, was du tust, das richtige, das wichtige für dich ist.

Wenn du sie lässt:

1. Wie du Wut für dich (wieder) nutzbar machst

Mach dir drei wichtige Punkte vorab bewusst:

A) Deine Wut gehört dir. Das bedeutet, du trägst die Verantwortung dafür, wie du sie nutzt und rauslässt.

B) Wut ist selten das alleinige Gefühl. Du wirst nicht nur wütend sein. Vielleicht bist du gleichzeitig auch traurig, frustriert usw. Schau da auch genau hin. Vielleicht spürst du die Wut auch gar nicht, denn …

C) Wut maskiert sich manchmal. Weil Wut gesellschaftlich nicht besonders angesehen ist, entwickeln wir häufig Strategien, diese umzuwandeln. Dann tritt anstelle der Wut …

Traurigkeit: Du denkst, du kannst nichts verändern. Du bist hilflos und der Überzeugung, du besitzt keinerlei Einflussmöglichkeit. Statt die Kraft der Wut zu spüren, wirst du passiv und hoffst darauf, dass mitleidige Andere für dich die Veränderung herbeiführen

… Ängstlichkeit: Die eigentlich wutauslösende Situation scheint dir überwältigend, du dir selbst unendlich klein und am liebsten würdest du weit weg rennen. Wie ein Kaninchen vor der Schlange stehst du gelähmt davor und denkst angstvoll „ich kann das nicht!“

… „positives Denken“: Dies kann ein besonders krasser Verdrängungsmechanismus sein. Nicht immer trifft das zu, aber wenn du dich bspw. in einer Situation befindest, die so absolut gegen deine Werte und Bedürfnisse geht und du trotzdem versuchst „das Positive darin“ zu sehen und „Vertrauen hast, dass sich alles zum Guten wendet“, dann ist das ein dringender Hinweis, dass du dir Wut gerade nicht gestattest

… Scham: Wenn um dich herum etwas passiert, was deinen Werten zugegen läuft (bspw. sagt jemand vor dem Team zu dir, dass du eine schlechte Arbeit geleistet hast), dann kannst du wütend werden und diese Aussage nicht so stehen lassen wollen – oder eben sie zu dir zu nehmen („ja, ich bin wirklich unfähig“) und dich schämen, dass du so „unfähig/schlecht/blöd“ bist

2. Wie du deine Wut nutzen kannst

1) Geh deiner Wut auf den Grund: Finde heraus, welche Bedürfnisse und Werte dahinter stecken. Worum geht es dir wirklich? Worauf weist dich deine Wut hin? Welche Veränderung wünschst du dir? Was willst du anders, neu oder beenden?

2) Falls noch weitere Gefühle im Spiel sind: Welche zusätzlichen Bedürfnisse stecken hinter diesen? Und ist darunter vll nur maskierte Wut?

3) Wie kannst du dafür sorgen, dass du dir deine Bedürfnisse erfüllst? Und wie kannst du diese Veränderung herbeiführen, ohne dabei Dampfwalzen-mäßig alles platt zu machen (und wenn du es doch tust, sei dir bewusst, dass es deine Entscheidung war)? Was brauchst du, um klar sagen zu können, was du willst und was du nicht willst?

Ich weiß, dass es manchmal gar nicht so leicht ist, das alles jetzt auf dein Leben, deine Situationen anzuwenden. Darum habe ich für dich ein Arbeitsblatt entwickelt: „Was steht hinter meiner Wut?“ Dieses kannst du dir hier runterladen.

Ich wünsch dir viel Erfolg dabei.
Deine Wiebke

P.S. mehr zum Thema Wut – und anderen Gefühlen findest du in diesem Buch: „Gefühle und Emotionen. Eine Gebrauchsanweisung“ von Vivian Dittmer (ISBN 978-3-940-773-01-2, € 17,50)

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